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Der Versuch rassistische, antisemitische und nationalistische Inhalte mit Musik zu verpacken, damit mehr Einfluss auf junge Menschen auszuüben, ist nicht neu. Das im Sommer 2004 bekannt gewordene "Projekt Schulhof" spricht jedoch für eine neue Qualität in Strategie und Anspruch, vor allem aber hinsichtlich ihrer organisatorischen und finanziellen Ressourcen der extremen Rechten. Darüber kann auch das Ausweichen auf die Verbreitung über das Internet nicht hinwegtäuschen, das eine Reaktion auf den Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Halle ist. Bereits in den vergangenen Jahren hat sich >rechte Musik<, die einst in volkstümlicher oder schlechter Drei-Akkord-Musik daherkam, auf unterschiedlichste musikalische Richtungen ausgeweitet. Die Spannbreite reicht inzwischen von härterer Rock-, Gothic- und Black Metal-Musik über Hiphop und Techno bis hin zu gecoverter Schunkel- und Schlager-Musik mit einschlägigen Texten. Das Medium Musik ermöglicht es vergleichsweise einfach jungen Menschen mit politischen Botschaften zu erreichen - und das überregional. So transportieren Rassisten ihr Weltbild und wirken an der politischen Meinungsbildung mit. Die Auflagen dieser Musikproduktionen sind bei den Top-Bands der Szene inzwischen auf über 10.000 Exemplare angewachsen - in Einzelfällen liegen sie auch deutlich darüber. Mit dem Internet entwickelten sich nicht nur neue Vertriebswege und Verkaufsmöglichkeiten. Insbesondere MP3-Tauschbörsen haben dazu beigetragen, dass >Nazi-Songs< problemlos verbreitet werden konnten. Die kostenlose Verbreitung der Musik im Internet und das Kopieren der CDs im "Kameradschaftskreis" werden offensiv gefördert, um das Hörerpotential zu vergrößern. Größere rechte Labels verzeichnen gerade deswegen neue Absatz- und Umsatzsteigerungen. Allein in Deutschland existieren über einhundert Bands und Solo-Musiker, die der rechten Musikszene zugerechnet werden. Konzerte fungieren häufig als Rekrutierungstreffen, als Plattformen für Informationsaustausch und Orte der Verbreitung von Szene-Utensilien, ganz gleich ob Kleidung, Tonträger, Fanzines (selbsterstellte Fan-Magazine höchstens vierstelliger Auflage) oder Bücher. Neonazi-Konzerte mit bis zu 2.000 Besuchern werden konspirativ durchgeführt. Bundesweit sollen es durchschnittlich zwei pro Woche sein. Die "Macher" stammen nicht selten aus den eigenen Reihen. Ein Beispiel hierfür ist "Pühses Liste": Ein Vertrieb des ehemaligen "Nationalistische Front"-Funktionärs und heutigen NPD-Bundesvorstandsmitglieds Jens Pühse, der vor einigen Jahren komplett im NPD-Versand "Deutsche Stimme" aufgegangen ist. Bis in die neunziger Jahre hinein orientierte man sich kulturell eher an der völkischen und bündischen Jugend der dreißiger Jahre, als an zeitgemäßen Erscheinungen der populären Musik oder ihren subkulturell geprägten Gegenbewegungen. Dies war entsprechend abschreckend und allenfalls interessant für Hinter-Zimmer-Ideologen. Doch mit dem Aufkommen einer inzwischen Subkulturübergreifenden rechten Jugendszene, die in Folge der rasanten Rechtsentwicklung in der Gesellschaft entstand und sich zunächst am Lifestyle der Skinheads orientierte, änderte sich dies. Es gelang die Kluft zu überbrücken, die zwischen eigenen Ansprüchen und denen eher organisationsfeindlich eingestellten Jugendlichen mit subkultureller Identität, besteht. Die Wahl von Kameradschaftsaktivisten in den Parteivorstand der NPD stellt exemplarisch einen Schulterschluss dar. Aber wie kam es überhaupt zu dieser Entwicklung? Viele Jahre galt insbesondere die rechte Politisierung der Skinheadbewegung als eines der vordringlichsten Ziele. Diese war im Ursprung von keiner politischen Prägung dominiert und entwickelte in den 1970er Jahren in Arbeitervierteln englischer Großstädte parallel zum Punk. Man bekannte sich zur "Working Class" - zur Punkmusik gesellten sich Oi! (1 - Fußnote s.u.)- und die ursprünglich aus Jamaika stammende Ska-Musik (2). Punks und Skins, das waren damals zwei Seiten einer Medaille. Eine Jugendrebellion, die mit Bands wie den Sex Pistols, The Clash, Cock Sparrer und Sham69 eingeläutet wurde. Es dauerte nicht lange bis sich auch hierzulande die Skins nach den Punks zu einer eigenständigen Jugendkultur entwickelten. In England prägte vor allem die Band "The Skrewdriver" um den Sänger Ian Stuart Donaldson, den "neuen", politisch-rechten Teil der Skins. Anfangs mit unpolitischen Texten gestartet, bauten sie sich rasch einen ernstzunehmenden Hörer-Kreis auf. Die Band gilt seit den 1980er Jahren als faschistische Neonazi-Gruppierung, die zudem einen maßgeblichen Anteil an der Gründung des internationalen "Blood-and-Honour"-Netzwerks hatte. Stuart wurde bekannter Aktivist der britischen "National-Front". In der BRD war die Verbindung zwischen Neonazis, Musikgruppen und Skinhead-Bewegung zunächst nicht derart eng geknüpft. Angespornt durch die Erfolge in England propagierte der bekannte Neonazi Michael Kühnen (Wiking-Jugend) Mitte der 1980er Jahre in einem Interview, mit seiner Organisation neue Anhänger "unter den Skinheads und Fußballfans" zu rekrutieren gedenke, obwohl diese Zielgruppen "politisch natürlich noch nicht ganz zu uns gehören". Vor allem die 1995 verbotene FAP erreichte in den 1980er Jahren bei mehreren Fußballvereinen wahrnehmbaren Einfluss auf Teile der Fanszene (dies galt insbesondere für Dortmund, Frankfurt und Hamburg). Auch in der DDR wurden diese Phänomene in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre häufiger wahrgenommen. Hierzulande wurde in der Skinszene zu dieser Zeit eine Band bekannt, die heute zu den kommerziell erfolgreichsten deutschen Rockbands zählt und aufgrund ihrer Vergangenheit lange umstritten war: die "Böhsen Onkelz". Ihr Werdegang ist interessant, weil er exemplarisch für die damalige Entwicklung der Szene steht und, wie der Jugendforscher Klaus Farin schreibt, das "Image und Selbstbild der Szene (…) entscheidend geformt" (3) hat. Im Schüleralter als Punkband im Frankfurter Ghetto gestartet, wechselten sie mit Beginn ihrer Berufsausbildung, gezwungen das Erscheinungsbild zu ändern, in die Skinhead- und Fußballrowdyszene. Ihre erste Plattenveröffentlichung, "Der nette Mann" (1984), die hauptsächlich Gewalterlebnisse, Fußballrandale und Deutschland-Patriotismus verarbeitet, avancierte zum Highlight der damaligen Szene. Fortan galt die Gruppe als erste deutschsprachige Skinheadband. Die "Böhsen Onkelz" äußerten sich zu ihrer Entwicklung 1987 in einem Interview: "Ich bin auf einem Dorf aufgewachsen, und da wird man jahrelang angepöbelt, nur weil man grüne Haare hat. (...) Da war Skin halt für mein Denken die beste Ausflucht. Ich bleib gut drauf und ich kann auch hauen und treten und bin vom Denken noch derselbe. (…) Man wollte halt ein bisschen mehr auf Härte machen. Und nichts mit Politik, von wegen: ‚Heil Hitler!' Das überhaupt nicht. So´n Quatsch. Ich meine, wenn man damals leben würde… Ist doch Scheiße!". (4) 1985 stiegen sie aus der Skinhead-Szene aus und distanzierten sich später von der politischen Entwicklung. Andere Teile blieben. Diejenigen, die ihre Identität als Skinheads nicht aufgeben wollten, und nicht mit Rassisten und Schlägertrupps in Verbindung standen, bekannten sich häufig zu den SHARP (5) - oder Redskins. Der rassistische Teil radikalisierte sich unter dem Einfluss von Neonazi-Kadern weiter. Ein Ergebnis sind Zusammenschlüsse, die schon seit Jahren effektiver und verbindlicher als Parteien agieren können, beispielsweise das "Hammerskin"- oder eben das bereits erwähnte "Blood and Honour"-Netzwerk. Beide haben "Sektionen" in Europa und Nordamerika. Trotz einiger staatlicher Verbote existieren diese Strukturen weiter. Sie wurden umorganisiert, agieren im Verbotsfall wesentlich konspirativer, aber offensichtlich nicht weniger effektiv. Die strategische Ausrichtung der Rechts-Außen hat in den folgenden Jahren einen tief greifenden Wandel hinter sich gebracht. Der Kölner Neofaschist Manfred Rouhs, in dessen politischem Umfeld Bands wie "Störkraft", "Rheinwacht" oder "08/15" gemanagt wurden, schrieb im Sommer 1993, wenige Wochen nach dem fünffach-tödlichen Brandanschlag von Solingen: "Gut gemachter 'Rechtsrock' kann helfen, Menschenmassen wenigstens oberflächlich im patriotischen Sinne zu politisieren. Ist es uns gelungen, einen Fuß in die Tür des öffentlichen Bewusstseins zu stellen, werden wir die Pforten bald weit öffnen für unsere in eine bessere Zukunft weisende politische Alternative zu Marxismus und Liberalismus. [...] Hat der Jugendliche erst einmal an Bands, die patriotische Motive in ihren Texten verarbeiten, Gefallen gefunden, dann fragt er möglicherweise nach Mehr, nach dem Woher und Warum des Nationalismus. Das ist der Moment, in dem wir [...] zuschlagen, ihm Inhalte und Kontakte bieten müssen." (6) Heute setzen die Strategien neofaschistischer Theoretiker bei der scheinbaren Profilierung als "nationale Jugend-Opposition" an, indem sie die attraktive Ausstrahlung von Rebellion und Aufbegehrung für sich nutzen. Dabei werden auch Merkmale der linken und alternativen Jugendkultur aufgegriffen und an eigene politische Ziele angepasst. "Rechts sein" gilt als >IN< und wird als Auflehnung gegen den bürgerlichen Staat und seine Normen, als Provokation und Aufbegehren verstanden. Im Kern jedoch ist das Agieren der Jungnazis keine Rebellion im eigentlichen Sinne, sondern die konsequente Weiterführung eines gesellschaftlichen Konsenses. Ihre Aktionen sind die Fortführung jener Politik, die sie im Elternhaus, an den Stammtischen und von Verblödungsmedien vorgekaut bekommen - nur eben mit anderen Mitteln. Die Dominanz rechter Jugendcliquen in einigen Regionen kann nicht erstaunen. Vor allem dort, wo Ansätze alternativer oder dezidiert linker Kultur sowie antifaschistischer Aufklärung, Bildung und Aktion fehlen, oft noch staatliche Förderung im Rahmen "akzeptierender Sozial- und Jugendarbeit" stattfindet, ist diese Entwicklung sichtbar. Dieser Entwicklung muss sowohl politisch als auch kulturell etwas entgegengesetzt werden. Es gilt die Straße, die Schule, den Jugendclub, die freiwillige Feuerwehr und den Sportverein, kurz alle Einrichtungen des zivilgesellschaftlichen Lebens, zurückzuerobern. Dort wo keinerlei Infrastruktur für Freizeitaktivitäten jenseits von Tank- und Bushaltestellen existiert, gilt es diese überhaupt erst wieder durchzusetzen. Dazu brauchen engagierte Jugendliche Unterstützung und Mitstreiter, Perspektiven und Initialzündungen - auch das sind Ziele des CD-Projekts "Aufmucken gegen Rechts". Fußnoten: (1) Der Ausruf "Oi!" ist ein englischer Ausdruck und bedeutet ursprünglich "Hey", "Hallo du da". Oi ist zudem die Bezeichnung für eine Musikrichtung und einen Lebensstil, vor allem der Skinhead-Szene. Musikalisch zeichnet sich Oi durch einfachen Liedaufbau, mittleres Tempo, harte Gitarrenriffs und Refrains zum Mitsingen aus. Auf Instrumentalsolos wird selten Wert gelegt. (2) Ska ist eine ursprünglich auf Jamaika entstandene schnelle Tanzmusik. Zu ihren musikalischen Wurzeln zählen vor allem amerikanischer Rhythm and Blues und zusammen mit den schwarzen Sklaven aus Afrika eingeführte und auf Jamaika weiterentwickelte Elemente wie dem Mento, der ersten jamaikanischen Populärmusik. Rhythmisch fällt eine starke Betonung des Offbeats auf. (3) Klaus Farin, "Skinheads", 1993, S.80 (4) Klaus Farin, "Skinheads", 1993, S.95, zitiert aus Eberwein/Drexler "Skinheads in Deutschland, Selbstverlag (5) SHARP: Skinheads against racial prejudice (Skinheads gegen rassistische Vorurteile) (6) Manfred Rouhs in "Europa Vorn Spezial", Nr.6, Sommer 1993. Manfred Rouhs sitzt seit September 2004 für die rechte Vereinigung "Pro Köln" im Kölner Stadtrat


07
Mai
K2-Kulturkiste
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Pirna
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15
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22
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Kulturkiste Pirna
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