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St. LouisAnne nahm für die AG Asylsuchende und unseren Verein an einem Fachkräfteaustausch in den USA teil. Wir haben Anne dazu befragt:

Anne, wie kam es zu dieser, doch sehr weiten Reise und dem Fachkräfteaustausch?

Die Idee des Welcoming Communities Transatlantic Exchange ist entstanden aus einer Initiative von Cultural Vistas in Zusammenarbeit mit Welcoming America und der Heinrich Böll Stiftung North America. Hinter dem Austausch steckt das Ziel, Integrationspraktiker*innen aus Deutschland und den USA zusammen zu bringen, um die besten Ansätze und Praktiken zu teilen, was die Eingliederung von Migrant*innen in ihre jeweiligen Gemeinden anbelangt. Über drei Jahre hinweg werden amerikanische und deutsche Gruppen sich gegenseitig in ihren Ländern besuchen; der Fokus liegt hierbei auf Gemeinden, die mit einem signifikanten und unerwarteten Zuwachs an Geflüchteten konfrontiert wurden oder die einzigartige und erfolgreiche Ansätze für die Integration geliefert haben.

In diesem Zusammenhang wurde der Landkreis als teilnehmende Region ausgewählt, da sich zivilgesellschaftliche Initiativen und Privatpersonen schon seit mehreren Jahren für Geflüchtete einsetzen; der Landkreis sich aber auch angesichts der häufigen rassistischen Übergriffe und Demonstrationen besonderen Herausforderungen gegenübersieht. Da sich die beiden Vereine AKuBiZ e.V. und AG Asylsuchende e.V., in denen ich Mitglied bin, schon seit vielen Jahren im Landkreis in den Themenfeldern Migration/Demokratiebildung/Integration engagieren und wir u.a. viele Projekte zur Unterstützung von Geflüchteten anbieten, haben wir uns für diesen Austausch beworben. Außerdem konnte ich meine Erfahrungen mit dem deutschen Asyl- und Aufenthaltsrecht mit einbringen, da ich in diesem Themenfeld als Anwältin tätig bin.

Wer waren deine Begleiter*innen aus unserem Landkreis und aus den anderen Städten?

Wir waren insgesamt 24 Teilnehmende aus Deutschland. Für den diesjährigen Austausch wurden diese fünf Regionen ausgewählt: Stadt Essen, Stadt Mannheim, Stadt Stuttgart, Stadt Dresden und der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Aus all diesen Regionen/Orten wurden wiederum Vetreter*innen unterschiedlicher Initiativen oder der Verwaltung entsandt.

Das Team unseres Landkreises setzte sich aus Mitgliedern der Initiative Asyl Altenberg, der Caritas, der AG Asylsuchende SSW-OE e.V., des AKuBiZ e.V. und einem Mitarbeiter der SPS Schiekel Präzisionssysteme GmbH zusammen.

Für die Stadt Mannheim nahmen vier Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung sowie der Integrationsbeauftragte teil; die Stadt Stuttgart entsandte zwei Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung und je eine*n Vetreter*in der AGDW (Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt) e.V. sowie der eva ‐ Evangelische Gesellschaft Stuttgart e.V.. Aus Essen kamen die Teilnehmenden aus fünf verschiedenen (zivil)gesellschaftlichen Gruppen (Universität Duisburg-Essen, Integration durch Sport und Bildung e.V., ProAsyl/Flüchtlingsrat Essen, Kleiderkammer Steele, Werden Hilft e.V.). Die Stadt Dresden entsandte Verteter*innen der Stadtverwaltung, der Projektschmiede gGmbH sowie des CSD Dresden e.V..

Wer sind die Partner*innen vor Ort und wie wurdet ihr empfangen?

Der Empfang bei allen Projekten und Initiativen, die wir besucht haben oder die uns während der Reise begleitet haben, war sehr herzlich. Wir sind zunächst in Atlanta (Georgia) angekommen. Der Bürgermeister Atlantas setzt sich sehr für eine Willkommenskultur seiner Stadt ein. Die Stadtverwaltung arbeitete mit ansässigen Unternehmen zusammen, um ein "Welcoming Atlanta"-Programm zu erarbeiten. In Atlanta nahmen wir zudem an der Konferenz "Welcoming Interactive" teil und besuchten den Nachbarort Clarkston. Clarkston hat in den letzten Jahren viele Migrant*innen und Geflüchtete aufgenommen und ein Netz aus verschiedenen Iniatitiven aufgebaut, die Flüchtlinge direkt unterstützen, sie empowern und auch die allgemeine Stimmung in den Gemeinden verbessern.

Die deutschen Teilnehmenden wurden am dritten Tag in drei Gruppen aufgeteilt, um verschiedene Regionen und Projekte in den USA kennenzulernen: Boise (Idaho), Columbus (Ohio), St.Louis (Missouri). Ich reiste nach St. Louis - eine Stadt, relativ zentral gelegen, in der sich in der Zeit des Zweiten Weltkrieges einer der größten und meist genutzten Bahnhöfe befand. Eine Studie fand heraus, dass ein zu geringer Anteil Migrant*innen in der Bevölkerungsstruktur das wirtschaftliche Wachstum der Region behindert. Im Jahr 2012 gründeten die lokale Regierung, die Handelskammer, immigrant service providers (Dienstleister, die in der Integration tätig sind), Hochschulbildung und andere das "St. Louis Mosaic Project", um die Region attraktiver für Migrant*innen zu machen. Wir besuchten ebenfalls das "International Institute", welches alle ankommende Flüchtlinge vom ersten Tag an begleitet und unterstützt. So bietet die Einrichtung verschiedene Kurse für die berufliche Eingliederung an, führt Sprachkurse durch oder vergibt Kleinkredite zur Berufsqualifikation oder für Unternehmensgründungen. Wir tauschten uns auch mit der türkischen und bosnischen Community und dem Islamischen Zentrum aus.

In Washington D.C. haben wir die anderen Teilnehmenden aus unserer Gruppe wieder getroffen und gemachte Erfahrungen ausgetauscht. Die Besucher*innen in Columbus wurden z.B. im Rathaus vom Büro des Bürgermeisters empfangen, konnten an einem Lauf für Refugees teilnehmen, das "Franklin University International Institut" und ein Islamisches Zentrum besichtigen. Die Teilnehmer*innen, die in Boise waren, haben insbesondere von einem Projekt der örtlichen Polizei berichtet. Diese führt für Refugees Schulungen über deren Rechte und Pflichten durch. Das aber in Zivilkleidung, da viele Geflüchtete schlechte Erfahrungen mit uniformierten Personen gemacht haben und bei den Geflüchteten zu Hause, in deren vertrauter Umgebung.

Hast du Best-Practice-Beispiele kennengelernt?

Ich habe ja soeben schon einiges erwähnt. Die Tatsache, dass Flüchtlinge, die im Rahmen des Resettlement-Programmes in die Vereinigen Staaten migrieren, vom ersten Tag an intensiv bei ihrer Integration begleitet werden, halte ich für sehr wichtig und herausragend. Es werden u.a. Sprachkurse und vielfältige Eingliederungshilfen bereit gestellt. Die meisten Flüchtlinge sind innerhalb der ersten sechs Monate in den Arbeitsmarkt integriert. In den Städten, die Flüchtlinge aufnehmen, existieren eine Menge Angebote, die das Ankommen der Menschen erleichtern und ermöglichen. In Clarkston, zum Beispiel gibt es die Möglichkeit im kommunalen Garten selbst Gemüse, Kräuter oder Obst anzubauen. Es wurde auch eine Selbsthilfe-Fahrradwerkstatt aufgebaut. Einige Straßen entfernt gibt es eine Kinderbetreuung durch Freiwillige. Dadurch können Mütter, die einen Sprachkurs besuchen möchten, in dieser Zeit ihre Kinder betreuen lassen. Das stärkt einerseits die frühkindliche Ausbildung der Kinder und vor allem haben die Frauen eine Möglichkeit Englisch zu lernen.

Wichtig ist aber auch die Vorbereitung in den aufnehmenden Städten und Gemeinden. So gibt es z.B. Programme für Unternehmen, dass die Angestellten ab der mittleren Führungsebene verpflichtend Bildungskurse zur interkulturellen Bildung besuchen müssen. Bei Neueingestellten werden diese Kurse im Rahmen der Einarbeitung absolviert. Auch gibt es Angebote in Unternehmen, dass die Führungskräfte die Pat*innenschaften für neuankommende Mitarbeiter*innen übernehmen sollen.

Für die Region Central Ohio und Columbus haben verschiedene Initiativen, Countys und Städte eine Broschüre herausgegeben. In der Broschüre wird die Bedeutung der Aufnahme von Geflüchteten für die Region herausgearbeitet. Es wird auf die Themen des demografischen Wandels der eingesessenen Bevölkerung und dem Wegzug aus Städten und Gemeinden, dem Wiederaufschwung des lokalen Kleinunternehmertums und der damit verbundenen Schaffung von Arbeitsplätzen, der Belebung von Wohnvierteln und dem Entgegensteuern gegen Schul- und Kindergärtenschließungen, die ja auch der eingesessenen Bevölkerung zu Gute kommt, eingegangen. Und, durch die mit dem Zuzug verbundene Vielfalt erlebte auch die Gastronomie eine Bereicherung. O-Ton von Lucas County Commissioner Pete Gerken: "Die Menschen essen gesünder."

Welche Erfahrungen bringst du mit und vor welchen Herausforderungen stehen die Partner*innen in den USA und wir?

In beiden Staaten sehen sich Engagierte vor Ort einer erstarkenden anti-islamische und rassistischen Bewegung gegenüber und stehen insoweit vor denselben Herausforderungen. Dazu passt ein Zitat von Luay Sami, einen resettleten Iraker aus Clarkston:

"The stereotyping is unfortunately still strong here. They think every Arab person is Muslim, should be Muslims, and that all Muslims are terrorists. And they think that all thze Muslims practise the same things. And when I tell them, like, Iraqi Muslims or Turkish Muslims are different than Saudi Muslims, they don't understand it. They just believe what's in the news. And they still believe that we use camals. I told them I grew up in Baghdad, and until I moved here, I'd never seen a camel; only in the zoo"

In den USA sind Initiativen, Gemeinden, Unternehmen, Migrant*innencommunities und die Bevölkerung viel besser vernetzt als in Deutschland. Die Hilfen zur Integration sind besser abgestimmt, finanziell besser ausgestattet und professioneller. Die Integration setzt auf das Empowerment der Geflüchteten und soll nicht nur betreuen. Das gilt es in Deutschland unbedingt zu verbessern.

Andererseits gibt es nirgendwo anders so viele Freiwillige, die sich für Geflüchtete engagieren. Das kann gern in andere Länder kopiert werden! In den USA fehlt ein Krankenversicherungs- und Sozialsystem, so wie wir es kennen. Viele Menschen - auch Migrant*innen - sind vom sozialen Absturz bedroht. Da ist m.E. noch ein großer Nachholebedarf da.

Wie geht der Fachkräfteaustausch weiter?

Im September können wir die amerikanischen Teilnehmenden im Landkreis begrüßen und Projekte und Erfahrungen hier direkt vor Ort vorstellen. Das Programm dazu wird in den nächsten Monaten ausgearbeitet. Danach treffen wir uns mit allen Beteiligten Anfang Oktober in Berlin zu einer Abschlusskonferenz.

Was war der beindruckendste Moment/Statement für dich?

Mich hat beeindruckt, dass die Diskussion und Praxis der Integration schon viel weiter als in Deutschland sind. Integration wird als ein Prozess verstanden, der den Ankommenden das Recht gibt, seine kulturelle Identität zu behalten und sich nicht assimilieren zu müssen. Die Menschen werden als selbstständig handelnde Subjekte mit ihren Freiheiten und Rechten anerkannt. Das ist in Deutschland anders. Das in Deutschland häufig genutzte Wort "Toleranz" ist eben nicht das Ziel, sondern nur ein Zwischenschritt: "Welcoming" ist der Anspruch!


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