Rose Guttfeld kam 1882 im ostpreußischen Ortelsburg – heute Szczytno, Polen – auf die Welt. Sie wuchs in einer liberalen, bürgerlichen jüdischen Familie in Berlin auf. 1899 heiratete sie den Kaufmann Sidney Scooler und zog zu ihm nach Porschendorf. Dieser leitete die Papierfabrik in Porschendorf. Rose und Sidney Scooler bekamen zwei Söhne. 1901 wurde ihr erster Sohn Werner, 1909 ihr zweiter Sohn Walter geboren. Als Sidney Scooler 1928 starb, übernahmen die beiden Söhne die Papierfabrik.
Rose Scooler schrieb Gedichte und dokumentierte so ihren Alltag. Von ihrer Nichte Ann Lewis wurde Rose Scooler als eine sehr ehrwürdige, formelle Frau beschrieben, die es erwartete, nicht mit einer Umarmung, sondern mit einem Knicks begrüßt zu werden. Ann Lewis verbrachte als Kind jeden Sommer bei ihrer Tante in Porschendorf und behielt diese Zeit trotz der vielleicht etwas kühlen Art ihrer Tante in guter Erinnerung. Ihre Tochter Sibyl Ruth gibt die Erzählungen ihrer Mutter über diese Zeit so wieder:
„All the stories my mother loved to tell about her childhood involved this big house, its gardens, her freedom to roam around the village. For her, this was a place where the sun always shone.“*
Sommerferienlager in Porschendorf
Nachdem die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, unterstützte Familie Scooler andere Jüdinnen_Juden, die aufgrund der Nationalsozialisten in Not geraten waren. Für jüdische Kinder richteten sie im Gesindehaus der Firma mehrere Jahre lang ein Sommerferienlager aus, in dem die Kinder Gelegenheit bekamen, sich zu erholen und schöne Erlebnisse zu haben. Das Dresdner Künstler*innenpaar Bruno und Irene Gimpel gab den Kindern dort Musik- und Zeichenunterricht.
Von Porschendorf nach Dresden und Berlin
1938 verschlechterte sich die Lage der Familie Scooler deutlich. Das Finanzamt in Pirna nahm ihr Vermögen in sogenannte Sicherungsverwahrung, die Firma wurde enteignet und an Friedrich Carl Rung weit unter Wert zwangsverkauft. Familie Scooler zog nach Dresden und versuchte auszuwandern. Während Werner Scooler mit seiner Frau Liesel und ihrem Sohn Dan in Dresden blieb, zog Rose Scooler 1940 mit ihrem Sohn Walter nach Berlin.
Werner Scooler wurde 1941 mit seiner Familie nach Riga deportiert und wurde entweder dort oder in Auschwitz ermordet.
Über Rose Scoolers Leben 1940 bis 1944 in Berlin ist uns nichts bekannt. Es war jedoch sicherlich von großer Angst und Unsicherheit geprägt. Ein Schriftstück aus Rose Scoolers Nachlass, in dem sie von einer Familienfeier erzählte, vermittelt den Eindruck von sehr ärmlichen Lebensverhältnissen.
Deportation nach Theresienstadt
Am 11. Januar 1944 wurde Rose Scooler in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Dort musste sie Zwangsarbeit leisten, indem sie Glimmer für die deutsche Wehrmacht spaltete. Ihre robuste Konstitution, Glück und auch der Einsatz in der rüstungsrelevanten Glimmerspaltung retteten ihr das Leben. Wer hier arbeitete, wurde nicht auf die Transporte in die Vernichtungslager geschickt.
Aus der Zeit in Theresienstadt sind mehrere Gedichte von Rose Scooler erhalten. Darin beschrieb sie Alltag, Enge und Gestank im Lager, aber auch Gefühle wie Angst, Müdigkeit und Hoffnung. Sie schrieb über Freundschaften, erzählte mit schwarzem Humor, berichtete von Erlebnissen wie geglücktem Kohlendiebstahl und gab ihrer Sehnsucht nach Leben und Geborgenheit Ausdruck:
Rose Scooler: Träumerei im Glimmer
Noch einmal möchte morgens ich erwachen
Und hören, wie im Zimmer neben mir
Der Wecker leise dich zum Aufstehn mahnet
Und wie du gehst und klappend fällt die Tür.
Ich möchte wieder glätten deine Kissen,
In denen in der Nacht geruht du hast,
Und ordnen können unsre lieben Räume,
Dass schön du fändest sie zur Abendrast.
Noch einmal möchte ich beim Nachtmahl sitzen
Dir gegenüber an dem Tisch alsdann,
Mich freuend, wenn du lobst, was ich bereitet,
Und plaudernd hören, was du heut getan.
Ich möchte lauschen mit dir unserm Radio,
Das eine ganze Welt ins Zimmer bringt,
Und spüren, wie der Duft von deiner Pfeife,
Das Rascheln deiner Zeitung zu mir dringt.
Noch einmal möchte ich im Auto fliegen
An deiner Seite durch Gebirg und Tal,
Die Märchenwelt vorübergleiten sehen,
Was alles möchte ich wohl noch einmal!
Da fahre ich empor aus meinen Träumen
Ach, dass ich immer noch im Glimmer bin!
Ich höre eine Stimme mahnend sagen:
„Es ist recht wenig in dem Kasten drin.“
Emigration in die USA
Im Mai 1945 wird Theresienstadt von der sowjetischen Armee befreit. Die mittlerweile 63-jährige Rose Scooler beschreibt die mit der Befreiung verbundene Ungewissheit in ihrem Gedicht „Vale Terezin“:
Vale Terezin
Und wieder reißt das Schicksaal auf die Tür
Und stößt uns nun hinaus mit harter Hand,
Wie schon so oftmals in der letzten Zeit,
In Neuland, uns noch fremd und unbekannt.
Es trieb uns aus der alten Heimat fort,
Versetzte uns so manchen harten Schlag.
Fast war man schon geborgen in Ka-Zet.
Wohin der Weg uns jetzt wohl führen mag?
Wir wissen nicht, was draußen vor sich geht,
Wo unsre Lieben sind – wer da noch lebt!
Man ist so wund geworden, dass man schon
Bloß im Gedanken an Gewissheit bebt.
Nach der Befreiung kam Rose Scooler in das Displaced Persons Camp im bayerischen Deggendorf, wo sie ihren Sohn Walter, der die NS-Zeit überlebt hatte, wiedertraf.
Rose Scooler ging zunächst nach England zu ihrer jüngsten Schwester und folgte später ihrem Sohn Walter und dessen Frau Hanna Scooler in die USA, wo sie 1985 im Alter von 103 Jahren in St. Paul, Minnesota, starb.
In ihrem Gedicht „Abfahrt der Dänen“, das sie auf die Melodie des vierten Satzes der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven schrieb (und damit Friedrich Schillers Text „An die Freude“ im Sinn hatte), verarbeitete Rose Scooler die Rettung von 423 dänischen Jüdinnen_Juden aus Theresienstadt durch das schwedische Rote Kreuz im März 1945. Das Gedicht wird gesungen vom Antifaschistischen Chor Pir-Moll, die Aufnahme entstand 2024.