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Wagner Liebethaler GrundSeit einigen Jahren gibt es in Pirna wieder einen Hype um Hitlers Lieblingskomponisten Richard Wagner. Ziel dieser Aktion war eine pünktliche Fertigstellung aller Wagner-Installationen zu dessen Feier-Jahr 2013. Nun ist es soweit und die lokalen Medien sind voll von Lobeshymnen. Im Besonderen ist es die Neueröffnung der Graupaer Wagner-Ausstellung im Jagdschloss. Seine damalige Wohnstätte im Sommer 1846, war bislang das älteste Wagner-Museum der Welt. Auf einem Erholungsurlaub soll Wagner hier in der Region die Inspiration zu seiner Oper "Lohengrin" gefunden haben.

Seinen Spaziergängen im Liebethaler Grund wurde im Mai 1933 durch die Aufstellung des ersten Wagner-Denkmals in Sachsen gedacht. Der Schöpfer der riesigen Bronze-Statue war Richard Guhr, der von der völkischen Bewegung als "Prophet nationaler Erneuerung" gesehen wurde. Auf der Internet-Seite "dresden stadtwiki" heißt es zu ihm: "Schon in den 1920er Jahren beteiligte sich Guhr mit Schriften wie "Die Schuld am Verfall der Künste" und "Der Judenstil oder der Expressionismus" an völkischen, judenfeindlichen und gegen die Moderne gerichteten Diskussionen, die von den Nationalsozialisten aufgegriffen wurden." (1)

Kritische Stimmen zu Wagner und seinen Inszenierer_innen gibt es in diesen Tagen nur wenig. Veranstaltungen, die sich mit seiner antisemitischen Hetzte beschäftigen werden vergebens gesucht. In einer kleinen Broschüre des Heimatverein Graupa e.V. heißt es zu Wagners Schrift "Das Judentum in der Musik": "...von psychischer Labilität beherrscht, aber mit antikapitalistischer Stoßrichtung." Und wenig später wird er sogar noch bemüht, als ein vehementer Gegner des Antisemitismus. Kaum zu glauben, beim Lesen seines "Werkes".

Er spricht von seinem "instinktmäßigem Widerwillen gegen das jüdische Wesen" und macht klar, er wünsche sich "unwillkürlich mit einem so aussehenden Menschen Nichts gemein zu haben." (2) Und so oft die Floskel auch bemüht wird, die Wagner-Verrehrer haben eben nicht recht, wenn sie "die Zeit" für seine Parolen verantwortlich machen. Ganz im Gegenteil, denn es war genau die Zeit, in der die Emanzipation der deutschen Jüd_innen voran gebracht wurde. Eher scheint der Widerstand der Konservativen ausschlaggebend für Wagners Antisemitismus zu sein. Denn er setzte deutliche Signale und diese waren eben nicht - wie so oft behauptet - ein "Ausrutscher", denn der Aufsatz "Das Judentum in der Musik" erschien einmal 1850 und noch einmal 19 Jahre später in einer erweiterten Form.

Sicher spielt auch die persönliche Rivalität zwischen Felix Mendelssohn-Bartholdy und Richard Wagner eine große Rolle aber ist das Entschuldigung für dessen Ausführungen? Die zunehmende Integration jüdischer Künstler_innen weckte Angst in Wagner. Außerdem sah er die deutsche Presse ohnehin in "jüdische Hand" und spürte schon lange den "lähmenden Druck der herrschenden jüdischen Gesellschaft auf die wahrhaft humane Entwicklung." Der Wissenschaftler Jens Malte Fischer sieht Wagners Antisemitismus bei ihm in allen Bereichen - bis hin zu Regieanweisungen. In den Figuren wie Mime (Rheingold) und Beckmesser (Meistersinger von Nürnberg) seien antijüdische Ressentiments deutlich zu erkennen. (3)

Andere Wissenschaftler_innen sehen bei Wagner einen starken Minderwertigkeitskomplex. So schreibt der Psychologe Josef Rattner. "Wer so hartnäckig um eine Ideologie des Hasses kreist, bedarf ihrer und kann anscheinend ohne sie nicht leben." (4) Die Debatte wird oft damit beendet, dass Wagner am Ende seines Lebens die Uraufführung des "Parzifal" an Hermann Levi übergab, den Sohn eines Rabbiners. Doch ist dies ein Widerspruch? Vielleicht war es auch die von ihm beschriebene Möglichkeit, in den Kreis der zivilisierten Menschen zurück zu kehren.

Nein, sicher ist Richard Wagner kein Adolf Hitler und das er dessen Lieblingskomponist war, konnte er nicht (mehr) beeinflussen. Dennoch kann auch nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass er Hitlers "Judenlösung" abgelehnt hätte. In seiner Schrift erklärt Wagner: "Ob der Verfall unserer Cultur durch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elementes aufgehalten werden könne, vermag ich nicht zu beurteilen, weil hierzu Kräfte gehören müssten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist." (5) Keine Ablehnung - lediglich Nichtwissen.

Getragen oder sogar verstärkt wurde Wagners Antisemitismus durch seine zweite Frau Cosima. 1923 lernte sie Adolf Hitler kennen und trägt die Ansichten ihres Mannes weiter. Unter den Zuhörer_innen ist auch der britische Schriftsteller Houston Stewart Chamberlain. Die Niederlage im 1. Weltkrieg schreibt er den Jüd_innen zu - seine Schriften beeinflussen auch Hitler. Er geht im Hause der Wagners ein und aus. Es entsteht eine Freundschaft, die auch nach Hitlers Tod und dem Bekanntwerden der deutschen Verbrechen bestand hat. So wird Winifred Wagner, die Schwiegertochter Richards und Leiterin der Festspiele in Bayreuth, noch 1975 mit den Worten zitiert: "Also, wenn heute Hitler hier zum Beispiel zur Tür hereinkäme, ich wäre so, so, so fröhlich und so, so glücklich, ihn hier zu sehen und zu haben, als wie immer..." (6)

Diese Aussage ist nur wenig verwunderlich, denn Hitler nahm während des NS erheblichen Einfluss auf die Festspiele und hatte sogar Mitsprache bei Programm, Regie und Bühnenbild. Zuvor war Winifred schon 1926 in die NSDAP eingetreten und Unterzeichnerin des Manifests des Kampfbundes für deutsche Kultur. Ihr Enkel Gottfried Wagner nannte sie später "absolut eine militante Antisemitin." Und in seinem neuen Buch fügt er hinzu: "Statt die Realität zur Kenntnis zu nehmen, verschanzt man sich hinter Wagners Musik und verleugnet ihren ideologischen, menschenverachtenden Kontext." (7)

Warum sich Adolf Hitler als Wagner-Verehrer aber nie auf dessen Schriften stützte, bleibt eine ungeklärte Frage. Der israelische Holocaust-Überlebende Saul Friedländer näherte sich dieser Frage. Seiner Ansicht nach, habe Hitler Wagner als Vorläufer akzeptiert, ihm aber abgesprochen, die eigentlichen Konsequenzen "der Judenfrage" zu erkennen. Die Antworten auf die Frage nach Wagners Antisemitismus wird also sehr unterschiedlich beantwortet. Aber eine kritische Auseinandersetzung findet in diesen Tagen nicht statt - schon gar nicht in der Region um Pirna. Und dabei kam schon Thomas Mann zu dem Ergebnis: "Es ist viel Hitler in Wagner." ... aber vielleicht ist es eben genau anders herum.

Das Wissen um Wagners Antisemitismus ist im Übrigen auch nichts Neues. Bereits 1877 zeichnete ein Autor der Zeitschrift "Der Floh" das "Programm der Wagner-Schule in Bayreuth". Eines der Bilder zeigt Richard Wagner beim Ausmessen von Nasen, ein anderes seine Schüler beim Zielschießen auf einen orthodoxen Juden.(8) Es ist also nicht richtig, wenn die Kritik an Wagner damit abgetan wird, dass sie ein Ergebnis der Bewertung nach dem Holocaust sei. Ganz im Gegenteil, denn Reaktionen auf die beiden Pamphlete Wagners gab es kurz nach ihrem Erscheinen zahlreich: 1850 weniger, 1869 sehr viel. Und die Kritik hält sich glücklicher Weise bis heute - wenn auch in und um Dresden kaum spürbar.

Auf die Frage angesprochen, ob wir Richard Wagner lieben dürfen, antwortet sein Urenkel Gottfried Wagner: "Was hat Liebe als empathisches Lebensgefühl mit Lebens- und Frauenverachtung, Xenophobie, Rassismus und Selbstvergötterung zu tun?" (9)

Eine Empfehlung zum Thema sind die Texte von Matthias Küntzel - zuletzt in DIE WELT: "Wagner war Avantgarde – als Musiker und Antisemit" (28. April 2013)

(1) - http://dresden.stadtwiki.de - eingesehen im September 2011
(2) - Fischer, Jens Malte: Richard Wagners "Das Judentum in der Musik", 2000, Leipzig
(3) - Ebd.
(4) - Rattner, Josef: Wagner im Lichte der Tiefenpsychologie, 1984, Berlin
(5) -  Fischer, Jens Malte: Richard Wagners "Das Judentum in der Musik", 2000, Leipzig
(6) - http://www.syberberg.de/Syberberg3/Alltag_2001/Mai/ZDF/zdf.html - eingesehen im März 2013
(7) - Wagner, Gottfried: Richard Wagner - Ein Minenfeld, 2013, Berlin
(8) - Fischer, Jens Malte: Richard Wagners "Das Judentum in der Musik", 2000, Leipzig; Seite 71
(9) - "Darf man Wagner lieben?" in taz vom 13./14. April 2013 auf Seite 18